[Götzis, 28.3.1999 | Dolmetscherin: Mag. Rüdisser Riva
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Yodgor Obid
Im
Gespräch mit Walter Grond
WALTER GROND: Wie würde man in Usbekistan ein solches Gespräch beginnen?
YODGOR OBID: Jeder Mensch, der in Usbekistan ein Haus betritt, gleich mit welcher Absicht,
wird als ein Gast empfangen. So wird er bewirtet, und man teilt alles, was man zum Essen
und Trinken hat. Erst dann bespricht man die Absicht seines Besuchs.
GROND: Sie leben jetzt seit zwei Jahren im österreichischen Exil. Was beschäftigt Sie
zur Zeit am meisten?
OBID: Gerade jetzt wird der Schriftsteller Mamadalin Machmudev in Kellern des usbekischen
Geheimdienstes festgehalten und gefoltert. Ich weiß, was ihm angetan wird. Ich erinnere
mich, die schlimmste Folter war, mit den Beinen nach oben an die Decke gehängt zu werden.
Dann stülpen sie einen Strumpf über den Kopf, und es ist dunkel und man bekommt keine
Luft. Man kann nicht einmal schreien, wenn man Schmerzen hat. Es ist dunkel, man will
schreien, aber man kann nicht schreien, das ist das schlimmste. Im Internet kann man
Informationen von Helsinki Human Rights über die Folterungen in Usbekistan finden.
GROND: Warum wurde Mamadalin Machudin verhaftet?
OBID: Nach der Explosion einer Bombe im Zentrum der Hauptstadt Taschkent sind im ganzen
Land Massenverhaftungen im Gange. Präsident Karimov behauptet, die Bombe wurde von
islamischen Fanatikern gezündet, und das, obwohl Amnesty International und Helsinki Human
Rights feststellten, daß es in Usbekistan keine islamischen Fanatiker gibt. In sechs
Wochen wurden sechstausend Menschen verhaftet. Die politische Opposition und unabhängige
Human Rights-Organisationen verglichen das angebliche Attentat auf Präsident Karimov mit
der Reichskristallnacht in Nazideutschland. Unter den Verhafteten sind viele
Schriftsteller, Dichter und Journalisten. Leider ist es unmöglich, genaue Informationen
über den Verbleib der Verhafteten zu bekommen.
GROND: Mamadalin Machmudev ist unter den Verhafteten?
OBID: Wir wissen heute, daß Mamadali Machmudev am 19.Februar in seinem Haus von
Sicherheitsdiensten verhaftet wurde. Das ist nicht das erste Mal. In den siebziger Jahren
war er wegen seines Romans "Stabile Klippen", in dem er die Eroberung der
zentralasiatischen Regionen durch die sowjetischen Truppen beschrieb, vom KGB verhaftet
worden. Es ist merkwürdig, daß, seitdem Usbekistan seine Unabhängigkeit von Rußland
erlangte, die Verfolgungen nicht nur fortgesetzt, sondern verstärkt worden sind. Von 1993
bis 1996 wurde Machmudev in ein Lager für politische Gefangene inhaftiert, beschuldigt
der Verbreitung illegaler Literatur und der Mitgliedschaft in der Volksbewegung Belique.
Er war nie Mitglied von politischen Bewegungen oder religiöser Gruppen, war immer
unabhängig. Nach der langjährigen Gefangenschaft ist seine Gesundheit sehr angegriffen.
GROND: Und nun wurde er ein drittes Mal verhaftet?
OBID: Seine jetzige Verhaftung ist wieder unbegründet. Man beschuldigt ihn der Teilnahme
am Terrorismus, das macht man zur Zeit mit allen Andersdenkenden. Machmudin wird ständig
gefoltert, so will man von ihm ein Geständnis erpressen für Verbrechen, die er nicht
begangen hat. Das ist die alte Methode aus KGB-Zeiten, perfektioniert vom usbekischen
Geheimdienst. An der Spitze dieses baschistischen Systems sitzt Islam Karimov.
GROND: Basistischen Systems?
OBID: So nennen wir die Politik in Usbekistan. Eine Wortschöpfung aus Bolschewismus und
Faschismus.
GROND: Wann flüchteten Sie aus Usbekistan?
OBID: Vor sieben Jahren.
GROND: Bricht in Ihnen die Vergangenheit wieder auf, wenn Sie heute als Deligierter von
Helsinki Human Rights über die kürzlichen Verhaftungen in Usbekistan recherchieren?
OBID: Wissen Sie, es gab in den zentralasiatischen Ländern immer eine Opposition, auch zu
Sowjetzeiten, aber sie war sehr schwach. Ab 1988 versuchten die Intellektuellen, einen
Widerstand zu organisieren, daraus entstand die oppositionelle Bewegung Birlik. Die
Belique wurde schnell stark, aber sie besaß keine richtige Führung und keine
organisatorische Erfahrung. Man hat mich dann gebeten, die Kulturabteilung der Belique zu
leiten. Ich wurde auch eingeladen, bei Versammlungen meine Gedichte vorzulesen. Ich bin
kein guter Redner, aber meine Gedichte habe ich begeistert vorgetragen. Man hat dann
begonnen, meine Gedichte über Flugblätter zu verbreiten, nicht nur in Usbekistan,
sondern auch in den anderen mittelasiatischen Republiken. Für viele bin ich nur der
Dichter geblieben.
GROND: Sie übten auch Kritik an der Opposition.
OBID: Ich habe mich oft über den engen Horizont der Oppositionsführer gewundert, aber
man kann sie nicht beschuldigen, sie waren Intellektuelle und es fehlte ihnen an
politischer Erfahrung. Damals hätte die Belique wahrscheinlich an die Macht gelangen
können, aber ich bin heute froh, daß sie es nicht ist. Sie war nicht wirklich reich. Sie
hatte viele Anhänger, aber sie hatte keine realpolitische Vorstellung. Heute wären die
Birlik-Leute in der Lage, Usbekistan zu regieren. Ich bin mit ihnen im ständigen Kontakt.
GROND: Treffen die jetzigen Verhaftungen die Birlik?
OBID: Viele von ihnen wurden jetzt verhaftet. Und viele von ihnen leben längst in den USA
im Exil, einige in Schweden und ich bin allein in Österreich.
GROND: Welche politischen Ziele hatte die Birlik-Bewegung?
OBID: Von Anfang an demokratische Ideen. Wir wollten keine religiöse Herrschaft; die
Birlik ist sehr laizistisch. Sie vertritt Demokratie und Verteidigung der Menschenrechte.
Wenn sich nicht jeder Bürger in einem Land unabhängig fühlen kann, kann doch nicht das
Land unabhängig sein. Wenn man keine politische Freiheit besitzt, kann auch keine
ökonomische Freiheit existieren.
GROND: Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an das Taschkent denken, an die Stadt, in der Sie
als ein Dichter und Oppositioneller gelebt haben?
OBID: Ich wundere mich heute, wie man diese Spannung überhaupt hatte aushalten können.
Ständig beobachtet, beschattet. Egal, wohin ich mit dem Auto fuhr, ich wußte, ständig
folgt mir ein anderes Auto. Ich habe etwas außerhalb von Taschkent gelebt, und wenn ich
von der Arbeit nach Hause fuhr, begleitete mich immer jemand, aus Sicherheitsgründen.
Immer bestand die Gefahr, auf der Straße von der Miliz angehalten zu werden, immer die
Gefahr einer Verhaftung. Zum Beispiel war es möglich, daß während des Mittagessens die
Miliz die Wohnung stürmte, meine Familie an die Wand stellte, die Wohnung durchsuchte und
einfach mitnahm, was sie wollte.
...
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