| Steiermark: Sehnsucht und Rausch |
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"Der Krusche" der.krusche@kultur.at Betreff: Drogenpolitik ist KULTURPOLITIK! Datum: Mittwoch, 10. April 2002 17:46 Barbaren? Heuchler? Dummköpfe? Oder schlicht Praktikanten der Doppelmoral? Womit habe ich es denn, bitteschön, inzwischen hierzulande zu tun? Vor allem in einem Kontext, in dem Opinion Leaders der Politik mir einzureden versuchen, europäische, kulturelle und sonstige WERTE seien Leitbilder zitgenössischer POLITIK. Ich WIDERSPRECHE solchen Vorspiegelungen im gegebenen Fall ENERGISCH. Im Anschluß meine etwas detailliertere Meinung zur Sache. Empfehle mich! ++++++++++++++++++++++++++++++ "Lösen sie nicht die Schuldfrage,
lösen Sie das Problem!" Läßt sich festhalten, daß wir in einer kulturellen Kontinuität leben, die Menschen gleichermaßen zu Eigenverantwortung ermutigt, wie sie Stärkere einlädt, Schwächeren Hilfe anzubieten? Gut. Danke! Diese Kontinuität umfaßt im lateinischen Europa einen Bogen von wenigstens 2000 Jahren, ist also kein marginales Konzept. Kultur. Wie ließe sich übersehen, daß Rauscherfahrungen und Grenzüberschreitungen grundlegende Momente kultureller Entwicklungen sind? Ob Deprivation oder Einnahme von psychotropen Substanzen. Ob völliger Reizentzug oder Reizüberflutung. Ob der betrunkene Sokrates. Ob Jesus oder Gautama, hungernd, in der Wüste. Ob Jim Morrison auf Dope. Menschen suchen "andere Zustände", suchen extreme Erfahrungen, um immer wieder neu auszuloten, was Menschsein physisch und psychisch bedeuten mag. Diese "alterated states" sind nicht nur mit Glückszuständen, sie sind auch mit Leidenswegen verknüpft. Wer diese Dinge redlich betrachtet, wird keinen Zweifel hegen, daß es da weder feste, noch klare Grenzen zueinander gibt. Eine kritische Betrachtung dieses Themas zeigt, daß offenbar ein nennenswerter und recht genau quantifizierbarer Anteil unserer Mitmenschen höchst gefährdet ist, Rauschmittel zu mißbrauchen. Davon fällt wiederum ein bestimmter Anteil unrettbar einer Sucht zum Opfer. Die Prozentsätze scheinen quer durch verschiedene Kulturen einigermaßen gleich zu sein. (Sogar unter Primaten kann man einen verblüffend gleichen Anteil finden.) Wer vor solchen Gegebenheiten ein "drogenfreies Land" als realistisches Ziel zur politischen Aufgabe ausschreibt, ist entweder von deprimierender Dummheit oder ein unerträglicher Heuchler. Wer meint, dieser ganze Problemkomplex ließe sich an Lösungen heranführen, in dem aufgebrachte Leute ohne Sachkenntnis und Ausbildung, dafür mit der Aussicht auf Kopfgelder, durch die Straßen schwärmen, um Kleindealer dingfest zu machen, sollte sich vielleicht von einem Junkie gelegentlich erklären lassen, wie das Geschäft eigentlich läuft. Überdies sollte, wer "brave Bürger" anregt, gegen eventuell gefährliche Leute loszuziehen, mindestens eine Rechtsberatung, vielleicht aber auch eine psychologische Fachkraft konsultieren. Was untrennbar zu unserer Kultur gehört, die Nutzung bewußtseinsverändernder Techniken und Substanzen, kippt sehr leicht in Mißbrauch. Es gilt als Ideal, diesem Mißbrauch zu widerstehen. Es gilt als Stigma, ihm zu verfallen. Fest steht: unsere Kunst- und Geistesgeschichte ist von solchen Grenzerfahrungen und -überschreitungen, auch hinein in den Mißbrauchsfall, nicht abzukoppeln. Einer der Gründe, warum mich die heimische Drogenpolitik interessiert. Es überzeugt mich wenig, daß Laien diesbezüglich auf der Straße etwas ausrichten sollen. Laien haben dort reichlich zu tun, wo sie suchtanfällige Mitmenschen im Widerstehen bestärken und suchtkranke Menschen (so wie deren Angehörige) in ihrem Leiden begleiten könnten. Um dieses Leiden zu mildern, vielleicht sogar aufzuheben. Wissend, daß es nicht allen Suchtkranken gelingt, ihrer Geißel zu entkommen. Redliche Politik sollte den Laien keine Profijobs zuschanzen, dafür versierten Leuten reelle Möglichkeiten schaffen. Die sind in der Steiermark keineswegs gegeben. Wer hier leichtfertig handelt, muß sich fragen lassen: sind Sie ein Barbar, ein Heuchler, ein Dummkopf oder schlicht ein Praktikant der Doppelmoral? |
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